Black Fashion Matters!

Black Fashion Matters!

Ob in der Musik oder der Mode – vieles, was im Mainstream als innovativ gilt, hat seinen Ursprung in der Kultur der Minderheiten, der Marginalisierten und der angeblichen Randgruppen. In Sachen Kleidung hat sich gerade die schwarze Community oft als Schrittmacher erwiesen – freiwillig und unfreiwillig.

Vorstadt, Reihenhäuser, freistehende Villen: Hier im gepflegten, weißen Suburbia der Vereinigten Staaten mit seinen sauberen Grünflächen und den gehobenen Mittelklasse-Limousinen trägt der Rebell zerrissene Jeans und lange Haare. Épater le bourgeois – so lassen sich Eltern und Eliten am besten schocken, die den Fernsehpredigern all ihr Taschengeld überweisen. In der Innenstadt dagegen, dort, wo in den heruntergekommenen Altbauten die Abgehängten wohnen, die Hispanics, die Schwarzen und der White Trash, sparen sie auf das teure Sakko in den schrillen Farben oder die Lounge Wear mit den großen Markenlogos: Dafür muss die Stütze noch reichen! Hier im Ghetto würde man den Teufel tun und mit abgerissenen Klamotten rumlaufen. Im Gegenteil: Man zeigt, was man hat – egal, wie man an die Kohle gekommen ist. Goldketten, teure Klamotten und Klunker an den Fingern, nicht zerrissene Chucks, sind die Währung für Street Credibility.

Das war im Prinzip schon immer so, auch in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, als die Rassentrennung in den USA noch brutaler durchgesetzt wurde und der Riss in der Gesellschaft noch offensichtlicher war. Damals kleideten sich junge Schwarze und hispanische Einwanderer in extravagant geschneiderten, exorbitant weiten Anzügen mit großen Aufschlägen und Hosen, die aus ganzen Stoffbahnen bestanden. Die unter anderem vom populären Sänger Cab Calloway propagierten Zoot Suits wurden zum Symbol einer vergnügungssüchtigen Jugend, die zwar wenig Geld, aber umso mehr Selbstbewusstsein hatte. Das durfte nicht sein – und so kam es im Zuge der sogenannten Zoot Suit Riots 1943 zu regelrechten Pogromen an der Westküste der USA. Schwarze und Mexikaner wurden auf der Straße angegriffen, aus Bussen geholt und von weißen Zivilisten, Soldaten sowie Polizisten systematisch verprügelt. Wer einen Zoot Suit trug, galt in den Zeiten von Krieg und Rationierung (auch von Stoffen!) automatisch als notorischer Tunichtgut, als Parvenü, der die weiße Vorherrschaft in Sachen aufwändiger Kleidung unterwanderte.

Und so wurden unter dem Deckmantel des Patriotismus die bunt gekleideten angeblichen „Jugend-Gangs“ zur blutigen Jagd freigegeben. Für Schwarze und andere Minderheiten war Mode unter diesen Umständen manchmal buchstäblich eine Frage von Leben und Tod. Ein „falsches“ Kleidungsstück bedeutete Stress, Prügel oder Schlimmeres.

Mode als Distinktionsmerkmal, als Akt der Rebellion und der Selbstermächtigung – das ist also eine alte Geschichte, die in den USA nur allzu oft von Schwarzen geschrieben wurde. Darüber redete natürlich niemand, denn der allumfassende Rassismus verurteilte diesen Strang der Fashion-Geschichte zur damnatio memoriae, dem kollektiven Erinnerungsverlust. Und dennoch lassen sich immer noch Spuren finden, wie schwarze Männer und Frauen den Weg der Mode beeinflussten oder manche Trends gar erst schufen. Wer weiß schon, dass das Aufsehen erregende Brautkleid der späteren First Lady, Jacqueline Kennedy, von Ann Lowe entworfen wurde, einer schwarzen Designerin, deren Name nirgendwo offiziell auftauchte? Wer erinnert sich an die jamaikanischen Rude Boys der 60er, die mit dem scharf geschnittenen Trilby-Look, den Pork Pie-Hüten und den kurzärmeligen Hemden den Takt vorgaben für weiße Two Tone-Revivalisten und Skinheads? Und in Afrika schreiben die flamboyanten Sapeurs (The Heritage Post Nr. 25) auf den Straßen des Kongo immer noch fleißig weiter an der Geschichte des modernen Dandytums. Kurz: Mode entstand und entsteht nicht auf den Fashion Weeks der westlichen Metropolen, und vor allem nicht allein aus weißen Quellen.

Die Geschichte der schwarzen Mode ist im 20. Jahrhundert eng mit der Bürgerrechtsbewegung und dem Kampf der afro-amerikanischen Gemeinschaften um Gleichberechtigung verknüpft – Black Fashion Matters! Ein Name, der in diesem Zusammenhang nicht fehlen darf, ist Malcolm X. Als Kämpfer für die Rechte der Schwarzen wollte er nicht nur die Revolution, er wollte auch, dass alle Beteiligten dabei gut aussahen. Sein persönlicher Sinn für Fashion war nicht nur ein ästhetisches Statement, sondern trug auch dazu bei, die Welt der schwarzen Mode neu zu definieren. Der Look des Protests – so bieder er von heute aus betrachtet auch aussieht – ging in seiner Wirkung weit über die Frage „Was soll ich heute anziehen?“ hinaus. Mode war für Schwarze wie Malcolm X deckungsgleich mit Politik.

Der 1925 geborene, kluge Sohn eines Tagelöhners begeisterte sich sehr für den Street Style der 1940er und 1950er Jahre, die „Harlem Renaissance“ aus Jazz und coolen Klamotten, die

Zoot Suits und ihre Ableger. Malcolm reduzierte diese modischen Statements allerdings: Weg vom Kirmeslook, hin zu einem ikonischen Ensemble aus Kopfbedeckung, Krawatte und Anzug. Wie ein Existenzialist trug er in der Regel eine keck verrutschte Baskenmütze, während seine Krawatte bewusst so gewählt war, dass sie ein Statement abgab und nicht einfach als formelles Accessoire diente. Seine Anzüge waren oft aus trendigen, farbenfrohen Materialien geschneidert, mit detailreichen, luxuriösen Stoffen – unerhört für einen Schwarzen, von dem erwartet wurde, dass seine niedrige soziale Stellung sich auch in der Wahl einer bescheidenen Kleidung ausdrücken sollte.

Malcolm X dachte nicht daran, ganz im Gegenteil. Er wollte mit einem geschliffenen Erscheinungsbild die Macht des schwarzen Mannes demonstrieren: Auch Rechtlose haben das Recht, sich gut zu kleiden. In einer Weise, die auch heute noch relevant ist, nutzte der Polit-Vordenker die Mode, um die Ungleichheit der Ressourcen zwischen Weiß und Schwarz zu thematisieren. Indem er teure Stoffe wie italienische Seide trug, wies er auf die mangelnden wirtschaftlichen Chancen der Afroamerikaner hin und bekräftigte gleichzeitig die Würde und Stärke der Schwarzen.

Dieser selbstbewusste Umgang mit Kleidung machte Malcolm X zu einer der ersten Führungspersönlichkeiten, die Einfluss auf eine spezifische schwarze Mode hatten. Mehr noch: In der Folge inspirierte der Look von Malcolm X die Arbeiten einflussreicher Modedesigner, darunter Omar Edwards und Ralph Lauren. Sein modisches Vermächtnis bleibt aktuell – Malcolm X ist noch immer Vorbild für die Rückkehr der Würde in die Männerkleidung.

Das Erbe des Radical Chic spiegelt sich in verschiedenen Aspekten der schwarzen Kultur, von afrozentrischer Mode bis hin zum neu definierten Look des modernen schwarzen Business. Zudem findet es sich auch noch im modernen Street Style der Hip Hop-Mode. Designer wie der New Yorker Dapper Dan oder auch Rap-Star-meets-Fashion-Brand Sean Combs sind heute die Aushängeschilder eines neuen schwarzen Selbstbewußtseins in Sachen Mode. Allen voran prägte jedoch der 2021 zu früh verstorbene Designer Virgil Abloh mit seiner Marke „Off-White“ die Modewelt, der als erster Afroamerikaner bei einem der alteingesessenen Luxusmodemarken die Männermode definierte.

Die Fixierung auf Markennamen und -logos, Bling Bling und teure Fummel ist der ferne Nachhall einer Selbstermächtigung, wie sie Malcolm X seinen Mitstreitern vorlebte: Seht her, auch ich kann’s mir leisten!

Allerdings hatte der Schlabber-Look der Rapper mit seinen übertriebenen Accessoires einen möglicherweise zu großen Einfluss. Aus den 80er Jahren heraus brachten sie mit ihren Jogginganzug-Ensembles und Turnschuhen die maximale Bequemlichkeit auf die Straße und sprengten erneut die Ketten der Formalität. Seitdem sind limitierte Turnschuhe ein größerer Luxus als feinste Stoffe. Der optische Drang nach „Lässigkeit“ durchdringt alle Altersklassen – während in der schwarzen Community mittlerweile immer häufiger sichtbar das Pendel schon wieder auf die andere Seite schwingt: In gut geschnittenen Anzügen aus feinen, oft auch extravagant farbigen Stoffen zeigen die People of Color, dass sie dem weißen Mainstream wieder einen Schritt voraus sind.

 

Autor • Carsten Sobek
Foto • skyNext, Shutterstock


Illustration • Uwe van Afferden

Erschienen in der Heritage Post No. 45

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