Mit feiner Klinge glattrasiert

Mit feiner Klinge glattrasiert

Mit edlem Rasierwerkzeug – wie zu Großvaters Zeiten – den Bartstoppeln ans Haar zu gehen, ist längst kein Hipster-Kram mehr. Die klassische Nassrasur hat als morgendliches Ritual das Badezimmer zurückerobert und ist eine echte Wellness-Auszeit für Männer, die Ruhe im Alltagsstress suchen. Denn das Körperpflegeritual erfordert Zeit – etwa 30 Minuten. Dazu braucht Mann: Rasierpinsel und Rasierseife, Rasierhobel oder -messer sowie ein bisschen Fingerspitzengefühl. Dafür ist eine Nassrasur so gründlich, dass zwei bis drei „Geschabsel“ pro Woche genügen. Obendrein spart sie Geld und schont die Umwelt.

Kennen Sie „Die Simpsons“? In der US-amerikanischen Zeichentrickserie gibt es eine Szene, in der Homer Simpson zusammen mit seinem Sohn Bart mit Schaum vor dem Mund und scharfen Klingen im heimischen Badezimmer vorm Spiegel steht und seinem Junior die Kunst der Nassrasur nahebringen will. Wild fuhrwerkt der Alte mit den Klingen durch sein Gesicht und erklärt dazu: „Hinterher reißt du ein kleines Schnipselchen Klopapier ab – und noch eins und noch eins. Dann klebst du es hierhin und hierhin und hierhin und überall, wo es sonst noch blutet.“

Freiwillig ans Messer liefert sich auch James Bond in „Skyfall“: Im 007-Abenteuer aus dem Jahr 2012 lässt sich Daniel Craig zwischen zwei Kampfszenen von seiner schönen Arbeitskollegin Eve rasieren – mit scharfer Klinge, heißen Blicken und ordentlich Schaum.

Zwei Filmszenen, eine Erkenntnis: Echte Männer rasieren sich nass! Das finden nicht nur Bart Simpson und James Bond, sondern auch Stefan Peter Wolf. Er ist der Kopf hinter der Webseite www.nassrasur.com“. Dort bietet der Unternehmer nicht nur eine breite Produktpalette an – angefangen von Rasierklingen und Rasiermessern über Pinsel, Rasierseife und -schalen bis hin zu Blutstillern und Aftershave-Düften, sondern er gibt auch jede Menge nützlicher Tipps und interessanter Infos zum Thema.

Stefan P. Wolf gilt als Koryphäe in Sachen Nassrasur und er ist ein Verfechter für die Rasur mit Rasiermesser oder -hobel. Diese wird von Kennern als schönste, gründlichste und angenehmste angepriesen – und als wohl sparsamste dazu. „Langfristig gesehen ist es sicherlich am billigsten, sich mit einem Rasiermesser zu rasieren“, sagt Wolf. Einmal zusammen mit dem nötigen Zubehör angeschafft, ergeben sich praktisch keine Folgekosten. Zudem hält ein gutes Rasiermesser so lange, dass es sogar von Vater zu Sohn vermacht werden kann.

Schon die alten Ägypter benutzten Kupfer- oder Goldmesser, um sich zu rasieren. Wie Höhlenmalereien belegen, schabten sich aber bereits vor 25.000 Jahren die Menschen mit Hilfe von geschärften Steinen und Muscheln die Behaarung ab. Im alten Rom wurde die erste Rasur gar als religiöses Ritual gefeiert. Ein Junge galt danach als Erwachsener. Ursprünglich waren die Klingen der Rasiermesser feststehend, erste einklappbare Messer sind jedoch schon von 1550 vor Christus bekannt. So richtig verbreitete sich das Klapprasiermesser dann im 17. Jahrhundert ausgehend von Sheffield – die britische Stahlstadt galt lange Zeit unter Nassrasier-Liebhabern als die Messermetropole.

Wer sich für die Rasur mit dem klassischen Rasiermesser entscheidet, sollte sich laut Stefan P. Wolf „im Klaren darüber sein, dass man es ohne hobbygleiche Begeisterung für diese Fertigkeit nicht weit bringt“. Denn das klassische Rasiermesser muss nicht nur beherrscht werden, sondern es hat auch verdammt scharf zu sein. Dazu muss auch der Umgang mit dem Abzieh-riemen gelernt sein. Denn im Gegensatz zu einem stumpfen Küchenmesser, das seine Arbeit trotzdem noch mehr oder weniger schlecht macht, ist selbst ein nur wenig stumpfes Rasiermesser bereits absolut unbrauchbar und sorgt nur für ein blutiges Stoppelmassaker.

Wer sich vor der scharfen Klinge fürchtet und seinen zittrigen Händen wenig Vertrauen schenkt, dem bietet sich trotzdem eine gute und sparsame Alternative zu modernen Plastik-Sicherheitsrasierern – der Rasierhobel, ein klassische Rasierklingenrasierer. Laut Stefan P. Wolf lässt die seit Jahrzehnten standardisierte Rasierklinge ihren jeweiligen Nutzer selbst entscheiden, wie viele Klingenkontakte seine Haut verträgt. Bei jedem Zug sei es genau einer – nicht 3, 4 oder mehr, wie beim „Klingenwahnsinn“ heutiger Mehrfachklingenköpfe. Während nämlich der Müllberg mit jedem dieser Plastik-Systemköpfe wachse, machen sich hunderte Rasierklingen beispielsweise in einem alten Sparschwein so klein, dass sie erst nach Jahren ins Altmetall ausgeschüttet werden müssten. „Die Leute wollen aus Kosten- und Umweltgründen weg von den modernen Wegwerf-Produkten“, weiß Stefan P. Wolf.

Dass die Nassrasur einen Boom erlebt hat, bestätigt auch Andreas Müller von der Rasurmanufaktur Mühle im erzgebirgischen Stützengrün. „In den letzten Jahren gab es eine regelrechte Bewegung, die die männlichen Gesichts- und Bartpflegeprodukte im Mainstream etablierte“, weiß der Familienunternehmer, der heute das 1945 vom Großvater gegründete Unternehmen zusammen mit seinem Bruder Christian führt. Lange galten Rasierpinsel und -hobel als Altherrenprodukte, heute aber seien sie das Kennzeichen eines modernen und gepflegten Mannes. Die Mühle-Kundschaft ist anspruchsvoll. Allein bei Rasierpinseln reicht die Preisspanne bei der Manufaktur im Erzgebirge von 35 bis 650 Euro – für eine exklusive Edition, bestehend aus Dachszupf mit Griff aus handbemaltem Meissner Porzellan.

Der Rasierpinsel erlangte in Europa erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine breitere Bekanntheit. Vorher schäumte der Herr die Seife von Hand auf. Und noch 1810 schrieb der britische Autor Benjamin Kingsbury in seiner Abhandlung „A Treatise on Razors“, es sei Gegenstand einer Kontroverse, ob Seifenschaum mit einem Pinsel aufgerührt oder durch „die Geschäftigkeit der Hand allein bewirkt werden soll“. Trotz Rasierschaum aus der Dose und Rasiergel aus der Tube, steht der Rasierpinsel bis heute nicht ernsthaft in Gefahr, zur Rarität zu werden. Denn es ist ein angenehmes Gefühl, den im Kreis geführten Pinsel auf der Gesichtshaut zu spüren.

Doch nicht nur die Haut, sondern auch der Pinsel bedarf Pflege, damit die Haare nicht spröde werden und brechen. Zur richtigen Behandlung braucht es nicht allzu viel: Ausspülen mit warmem Wasser, danach Restwasser ausschleudern anschließend hängend oder stehend an einem Halter aufbewahren.

Schon die alten Römer schmierten sich mit einer Enthaarungscreme ein, die Pech, Fledermausblut und gemahlene Giftschlangen enthielt. Im Lauf der weiteren Geschichte ersannen findige Barbiere unzählige weitere Methoden, das Kinn ohne allzu großen Blutverlust zu glätten. Das 1772 gegründete Unternehmen Wilkinson fand in einer Marktforschungsanalyse heraus: „Nassrasierer leben glücklicher. Sie sind vitaler, aktiver und auch in der Ehe treuer.“ Heute müssen sich Männer weder Fledermausblut noch gemahlene Giftschlangen ins Gesicht schmieren. Doch für eine gute Rasur sind Rasierseife und Blutstiller nach wie vor unerlässlich.

Rasierschaum gibts heute sogar aus der Sprühdose. Doch für echte Kerle ist ein selbst hergestellter, warmer, sahniger Schaum aus einer guten Rasierseife der Inbegriff klassischer Nassrasur und ein ganz wichtiger Teil des Rasier-Rituals. Da hält kein Produkt aus der Dose mit. Allerdings gibt es auch bei einer mit dem Rasierpinsel aufgeschlagenen klassischen Rasierseife deutliche Unterschiede in Schaumverhalten und Pflegewirkung, Aufweicheffekt und Hautschutz vor der Klinge. Tipp von Stefan P. Wolf: „Handgesiedete Naturseifen überzeugen mit guter Verträglichkeit und wenig Chemie, aber auch gute Fabrikseifen können sehr schonend und mild sein und haben in der Regel einen stabileren Schaum.“

Und so geht die klassische Nassrasur Schritt für Schritt glatt: Um die Poren der Gesichtshaut zu öffnen, eignet sich am besten eine heiße Dusche. Dadurch werden die Barthaare leicht angehoben und können so noch tiefer abgeschnitten werden. Alternativ tut es auch eine warme Gesichtswäsche oder eine warme Kompresse. Wer besonders empfindliche Haut hat, trägt anschließend ein Rasieröl auf. Da Barthaare eine Härte haben, die vergleichbar mit Kupferdraht in gleicher Stärke ist, gilt: Die Bartstoppeln gründlich mit Rasierschaum einschäumen und so aufweichen. Mit dem Rasierpinsel wird die Rasierseife aufgeschlagen und für mehrere Minuten in die Gesichtshaut einmassiert.

Schließlich lässt man den Rasierhobel mit einer scharfen Klinge ohne Druck mit einem Strich über die Barthaare gleiten, am besten in einem Winkel von 30 Grad. Zwischendurch immer wieder die Bartstoppeln vom Rasierhobel mit heißem Wasser abspülen. Je nach Hautempfindlichkeit neu einschäumen und noch einmal quer zum Strich und einmal gegen den Strich rasieren. Nach der Rasur die Haut mit eiskaltem Wasser abspülen, was die Poren wieder schließt. Bei Schnittverletzungen mit einem angefeuchteter Alaunstein über die betroffenen Hautstellen gehen; das gelöste Kristallsalz hat eine stark adstringierende Wirkung und stoppt so die Blutung. Ist die Wunde verschlossen, nochmal gründlich mit kaltem Wasser nachspülen, die Haut einige Minuten beruhigen lassen – und als krönenden Abschluss der Wellness-Auszeit ein Rasierwasser auftragen. Eine echt dufte Sache!

Übrigens: In der Ölpreiskrise in den 1970er Jahren ist die Nassrasur sogar mal als Energiespartipp propagiert worden: Der damalige österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky empfahl den Männern der Alpenrepublik, sich nass zu rasieren und dadurch Strom zu sparen: „Wer sich elektrisch rasiert, der sollte daran denken, dass es auch andere Rasierapparate gibt.“

 

Autor • René Haenig
Foto • Black Beards

Erschienen in der Heritage Post No. 48

www.nassrasur.de
www.blackbeards.de

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