Alles auf Agave

Alles auf Agave

Agave boomt! Tequila und die Nischenspirituose Mezcal sind global ins Spotlight geraten. Woher der Hype um Mexikos traditionelle Destillate kommt, worin die Unterschiede liegen und weshalb Hollywood zum Problem im mexikanischen Hochland werden könnte.

Haben Sie sich schon mal gefragt, warum George Clooney in den letzten paar Jahren so wenig über die Leinwand geflimmert ist und kaum noch Filme dreht? Vermutlich nicht. Aber mal abgesehen von Familienleben, Dolce Vita am Comer See und langweilenden Drehbüchern, gab er in einem Interview von 2017 selbst die Antwort: „Ich habe eine Tequila-Firma für eine verdammte Milliarde Dollar verkauft. Ich brauche kein Geld.” Für Miete und das Nötigste reichts ihm.

Gleichzeitig markierte der Verkauf von „Casamigos”, wie die Marke von Clooney und seinen Freunden Rande Gerber, dem Ehemann von Cindy Crawford, und Immobilien-Investor Mike Meld-man heißt, wohl auch den Beginn eines neuen Tequila-Hypes. Es geht um Qualität, große Marken wie auch kleine handwerkliche Hersteller aus dem Hochland Mexikos. Vergessen sind die fiesen Kater nach so mancher Sauf-Nacht während des Studiums. Schluss mit Salz, Zitrone, Lecken, Schlucken, Beißen. Tequila und sein handwerklicher Verwandter, der Mezcal, sind erwachsen geworden.

 

Agaven und Azteken

Doch schon lange bevor Hollywood sich in Mexikos Agavenfeldern niederließ und Prominente wie die Sängerin Rita Ora (Próspero), Schauspieler Dwayne „The Rock” Johnson (Teremana), Desperate Housewife Eva Longoria (Casa del Sol), Kendall Jenner (818), Justin Timberlake (901) oder Basketballer LeBron James (Lobos 1707) in den Trend investierten, eigene Tequilas und Mezcals herausbrachten, waren Getränke aus Agaven ein ganz besonderes Gut.

Weit zurück, in präkolumbischer Zeit, waren Agaven in Mexiko gar ein wesentlicher Bestandteil des Alltags, von Mythologie und Kultur, Heilung und Spiritualität. Auch der Landesname „Mexico“ soll Bezug auf die Agave nehmen, aus dem Nahuatl, einer aztekischen Sprache, stammen und sich aus „metl“ (Agave), „xitle“ (Nabel) und „co“ als Lokalsuffix ableiten, kurzum: „der Ort des Agavennabels“ bedeuten oder freier übersetzt „der Ort, an dem der Mittelpunkt der Agave liegt“. Kein Wunder ist es dabei, dass der stacheligen sukkulenten Pflanze auch eine eigene Göttin zugesprochen wird: Mayahuel – die Göttin der Agave und zugleich der Fruchtbarkeit.

Um mit Mayahuel und den anderen Göttern zu kommunizieren, berauschte man sich natürlich. Vor mehr als 2000 Jahren mit leichtalkoholischem „Pulque”, dem ältesten der Agavengetränke, aus vergorenem Agavensaft und ungefähr so stark wie ein leichtes Bier. Pulque galt als heilig und in der Regel war es nur Hohepriestern und Stammesfürsten erlaubt, ihn zu sich zu nehmen.

Das änderte sich, wenig überraschend, als die spanischen Conquistadores den ersten Fuß in die neue Welt setzten. Die Pulque-Produktion wurde von den Spaniern rasch kommerzialisiert. Nicht etwa, weil sie ihn mochten und dem Wein und Brandy vorzogen, vielmehr sahen sie darin eine Möglichkeit, um Steuern erheben zu können. Immerhin jedoch brachte man auch das Wissen um die Destillation ins Land und legte damit den Grundstein, um aus Pulque, beziehungsweise Agaven im Allgemeinen, Destillate zu erzeugen. Den vergorenen Saft noch einmal zu brennen, lag schließlich nahe – und das sogenannte Getränk „mexcalli“ wurde geboren.

 

Vom Mezcal zum Tequila …

Auch wenn seit kurzem diskutiert wird, dass die Kunst der Destillation schon in präkolumbischer Zeit in Mesoamerika bekannt gewesen sein könnte, stand die erste, zumindest industriell anmutende, Brennerei für das Feuerwasser Mexcalli wohl um 1600 in der Stadt Tequila. Sie merken, wohin die Reise gehen soll. Mit dieser Brennerei erwarb sich der adlige Don Pedro Sánchez de Tagle den Beinamen „Vater des Tequila“, obwohl er korrekterweise eigentlich „Vater des Mezcal“ genannt werden müsste, denn bis Tequila als Agavendestillat auf der Bildfläche erscheint, sollten noch einige Jahrhunderte vergehen.

Ein anderer Name, der in den Geschichtsbüchern eine Rolle spielt, ist José Cuervo, nachdem heute noch eine Tequilamarke benannt ist. Einige Jahrzehnte nach Don Pedro Sanchez, wurde er zum wichtigsten Produzenten der Region und baute die Produktion des mexcalli-Nachfolgers Mezcal, damals „vino de mezcal“ genannt, im 18. Jahrhundert weiter aus. Er tat dies sogar so erfolgreich, dass sich der Absatz von ur-spanischen Weinen und Spirituosen deutlich verringerte und der König einschreiten musste, um wiederum den Verkauf heimischer, spanischer Produkte zu fördern. Kurzerhand beschloss er daher ein Verbot von Mezcal und Pulque, die Herstellung verlagerte sich in den Untergrund.

Wiederum ein paar Jahre später folgten eine Steuerreform und die Aufhebung des Verbots in den Wirren der Geschichte. Im Zuge dessen erhielt José Cuervo die erste offizielle Erlaubnis des spanischen Königs, kommerziell Mezcal herstellen zu dürfen. Mit der Gründung der „Taverna de Cuervo“ war die industrielle Herstellung der Agavendestillate wirklich geboren. Neben der Besteuerung des Destillats, änderte sich nochmals der Name und der „vino mezcal“ erhielt den Zusatz „de Tequila“. Es blieb jedoch nicht bei der etwas sperrigen Bezeichnung. Im Jahr 1873 schließlich tauchte erstmals der alleinige Name „Tequila“ für eine regionale Unterart des Mezcals auf. Und mit Erlaubnis der spanischen Regierung benannten fortan viele Produzenten der Stadt ihren Mezcal nur noch als Tequila.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wuchsen dann Beliebtheit und Absatz von Tequila. Der einstige Vermerk Mezcal verschwand gänzlich vom Etikett, der Ortsname blieb. Mezcal geriet in Vergessenheit, verschwand quasi von der Bildfläche. Er wurde zwar nach wie vor in kleinen Ortschaften unter recht bäuerlichen Bedingungen hergestellt, doch die internationalen und auch die nationalen Märkte wurden von Tequila erobert. Wohl auch, weil dieser durch geänderte Produktionsweisen in großen Mengen kostengünstiger hergestellt werden konnte als der traditionell sehr handwerkliche Mezcal.

Foto • Mary West, Unsplash

…und wieder zurück

Heute gibt es gleich eine Handvoll Unterschiede, die Mezcal und Tequila voneinander trennen. Vor allem die verwendete Agavenart und die Herkunft innerhalb Mexikos sind maßgebend. Im Jahr 1949 wurde zum ersten Mal festgelegt, dass Tequila aus blauen Weber-Agaven hergestellt werden muss, die im mexikanischen Bundesstaat Jalisco gewachsen sind. Heute sind es fünf erlaubte Bundesstaaten. Ein Umstand, den auch die Spirituosenkonzerne befürworten, da die Blaue Weber-Agave am kosteneffizientesten und ökonomischsten im Massenanbau ist. Sie reift am schnellsten, enthält am meisten Zucker und bildet mehr Ableger als andere Arten. Planung ist beim Agavenschaps dennoch alles. Rund zwölf Jahre dauert es immerhin, bis die Piña, also das Agavenherz, reif ist und geerntet werden kann. Daher lässt sich selbst bei hoher Nachfrage die Produktion nicht einfach mal spontan erhöhen.

Schön ist dennoch zu sehen, dass im Zuge des letzten Tequila-Booms vor allem wirklich reine Agavenbrände an Beliebtheit gewannen. Sie erkennt man am Aufdruck „100  % de agave“ oder100  % puro agave“, wohingegen bei den sogenannten Mixto-Tequilas lediglich 51 Prozent Agavendestillat enthalten sein müssen. Der Rest kann aus kopfschmerzverursachenden anderen Alkoholquellen stammen, gesüßt oder eingefärbt sein und dazu führen, dass die Flaschen einen witzigen Plastikhut tragen.

Ein wachsendes Bekenntnis zur Qualität spielt heute aber vor allem auch dem Mezcal wieder in die Karten. Anstelle nur einer Agavenart, können die Mezcaleros hier auf eine große Zahl Varietäten zurückgreifen. Von den rund 150 Arten, die in Mexiko heimisch sind, sind immerhin 25 bis 50 für die Destillation geeignet und nutzbar, darunter auch einige nicht kultivierte, sondern wilde Arten. Die zu den Spargelgewächsen gehörenden Pflanzen – Agaven sind keine Kakteen – transportieren dabei vor allem eines: das Terroir. Je nach Anbaugebiet und verwendeter Agavenart, finden sich im Mezcal ganz unterschiedliche Aromen. Er kann würzig und kräftig, erdig, rauchig und staubig, blumig, grasig und fruchtig oder eine Kombination daraus sein. Um die feinen Nuancen zu erschmecken, greifen Mezcal-Liebhaber vorwiegend zum „Joven“ oder „Blanco“, der im Gegensatz zum „Reposado“ (zwei Monate im Eichenfass) und „Añejo“ (mindestens ein Jahr Reife), ungelagert ist.

Eine weitere Kategorisierung der Qualität von Mezcal ergibt sich durch die Art seiner Herstellung. Abhängig vom eigentlichen Prozess, und wie viel Handarbeit wirklich drinsteckt, unterscheidet man Mezcal in drei Kategorien, und zwar in den traditionell hergestellten „Mezcal Ancestral“, welcher noch immer wie vor über 400 Jahren hergestellt wird, den handwerklich hergestellten „Mezcal Artesanal“ und in „Mezcal“. Allen gemein ist jedoch, dass zunächst die geernteten, bis zu hundert Kilogramm schweren Agavenherzen gebacken werden, um sie später zerkleinert einmaischen und brennen zu können. Der beim Feuer entstehende Rauch gibt dem Mezcal sein typisches Aroma, weshalb nicht selten auch Scotch-Liebhaber Freude an diesem Destillat finden. Ein Charakter, den man beim modern produzierten Tequila vergeblich sucht.

Zwar mag dieser mengenmäßig die Nase weit vorn haben, aber noch immer oder wieder, gibt es schätzungsweise rund 4.000 kleine, zum Teil sehr, sehr rustikale Brennereien, die Mezcal herstellen. Das klingt vielleicht viel. Gerade wenn man bedenkt, dass die meisten von ihnen im Bundesstaat Oaxaca liegen, verteilt auf einer Fläche, die in etwa Österreich entspricht. Trotz des Booms bleibt für den Export aber wenig. Ungefähr ein Prozent des mexikanischen Feuerwassers entfällt auf Mezcal, die restlichen 99 auf Tequila, mit den USA als größtem und Deutschland als zweitgrößtem Absatzmarkt.

Foto • Mary West, Unsplash

Da ist der Wurm drin

Besonders gesucht und schwer zu finden ist bei einigen Mezcal-Liebhabern hierzulande die Untergruppe der „Destilado con“-Mezcals. Sie bezeichnet aromagebende Zutaten, die während des Brennvorgangs hinzugefügt werden. Für einen „Pechuga“ zum Beispiel, ursprünglich eine dreifach destillierte Art traditioneller Feiertags-Mezcal, sind dies traditionell rohe Brüste von Hühnern oder Truthähnen. Erfolgt diese Zugabe nach dem Destillieren, etwa durch Orangen oder Mango, aber auch mit dem berüchtigten Wurm, findet sich auf dem Etikett die Bezeichnung „Abocado con“. Bei aller Komplexität der Materie, bleibt zum Schluss aber noch ebendiese Antwort ausständig: Was hat es mit dem Wurm im Mezcal eigentlich auf sich?

Nun, der Wurm ist genau genommen eine Larve, und zwar meistens eine der Mottenart Comadia redtenbacheri. Die Larven dieser Gattung gehörten zu den beliebtesten essbaren Insekten in Mexiko und leben besonders gern in Agavenpflanzen. In den Flaschen landeten die Schädlinge erstmals irgendwann in 1940er und 50er-Jahren, vielleicht um den Befall der Agaven zumindest etwas zu reduzieren, vielleicht als wirklich minimale aromatische Komponente, wohl eher aber ganz unspektakulär, um die rustikale Spirituose noch besser vermarkten zu können. Womit wir irgendwie auch wieder bei den Prominenten und ihren Tequilas wären. Denen schlägt für ihr Marketingengagement und Investment nämlich mitunter nicht wenig Kritik entgegen. Man erhebt den Vorwurf, Prominente, die eine Tequila-Brand gründen oder sich nur als Testimonial für eine Marke verpflichten lassen, blasen einen bereits ohnehin überhitzten Markt künstlich weiter auf. Mezcal und Tequila sind schneller zum Hype geworden, als Agaven nachhaltig nachwachsen können.

Der Erfolg von Mezcal kann sich dadurch schnell vom Segen zum Fluch wandeln. Während es zunächst von Vorteil ist, dass etwas mehr Geld in die lokalen Gemeinschaften fließt und sie über eine zusätzliche Einnahmequelle verfügen, ist ein Zuviel davon kontraproduktiv. Spätestens dann, wenn Bauern statt nötiger Nahrungsmittel lieber lukrativere Agaven in Monokulturen anpflanzen, um die Nachfrage zu decken. Eine nachhaltige Renaturierung und Diversität der Pflanzungen wird für alle Produzenten von Agavendestillaten daher zur essentiellen Aufgabe der nächsten Jahre.

Und immerhin wurde bereits reagiert. Die staatliche Regulierungsbehörde Consejo Regulador del Mezcal hat die Produzenten dazu verpflichtet, für jede entnommene wilde Agave zwei neue zu pflanzen. Nur wer nachweisen kann, dass er diese Vorgabe erfüllt, erhält die nötige staatliche Zertifizierung. Mezcal lebt schließlich von den göttlichen Agaven und seiner urtümlichen, handwerklichen Herstellung – nicht von Hollywood.

 

Autor • Christian Kopp
Foto • Dylan Freedom, Unsplash

Erschienen in der Heritage Post No. 49

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